Neue Wege, alte Werte

Michael Tacken und Kristin Becker vom Seilerhof

Auf dem Seilerhof in Alme läuft vieles anders als in klassisch geführten landwirtschaftlichen Betrieben. Michael Tacken und seine Lebensgefährtin Kristin Becker zeigen: Es gibt mehr als nur ein Standard-Geschäftsmodell, um einen Hof erfolgreich und nachhaltig zu führen. Was es dazu braucht? Mut zur Vielfalt.

Morgens auf dem Seilerhof: Michael Tacken plant in seinem Büro mit Blick auf die anstehende Feldarbeit die Woche für sein Team akribisch durch. Welcher der acht Mitarbeitenden übernimmt diese Woche welche Aufgaben? Tackens Lebensgefährtin und Agrarwissenschaftlerin Kristin Becker sitzt ihm gegenüber – und ist derweil schon in einem ersten Kundentermin: Per Videochat berät sie landwirtschaftliche Unternehmen, wie diese ihren Social-Media-Auftritt optimieren können.

Später will Michael Tacken noch mit der Büroangestellten besprechen, wie viel Grillfleisch und Honig für die Verkaufsautomaten bestellt wird, die am Hofeingang für Kunden bereitstehen. Und dann wollen Becker und Tacken am Nachmittag noch zusammen an aktuellen Projekten tüfteln: Digitalisierung von Arbeitsprozessen, Sitzmöglichkeiten am Hof und das Etablieren von Kindergeburtstagen als neues Angebot.

Ein ganz normaler Tag im Leben eines Milchbauern? Wohl eher nicht. „Unser Tag fängt längst nicht mehr um sechs Uhr im Stall mit dem Melken an, wie das auf einem Hof unserer Größe sonst üblich ist“, sagt Tacken. Das landwirtschaftliche Unternehmerpaar startet stattdessen meist im Büro in den Tag.

Dahinter steckt eine große Veränderung, auf die Familie Tacken seit Jahren hingearbeitet hat: „Unser Hof ist heute so aufgestellt, dass der tägliche Betrieb weitgehend auch ohne unser Zutun funktionieren kann“, sagt Michael Tacken. So gewinnt er Zeit, sich über die Weiterentwicklung seines landwirtschaftlichen Betriebs Gedanken zu machen und neue Geschäftsfelder aufzubauen.

Als Agrarbetriebswirt Michael Tacken vor zehn Jahren vor der Entscheidung stand, ob er den vor mehr als hundert Jahren gegründeten Hof von seinen Eltern übernehmen wollte, war für ihn klar: „Landwirtschaft ja – aber nicht mit dem üblichen Geschäftsmodell, das von Landwirten erfordert, rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche selbst auf dem Hof zu arbeiten und trotzdem kein angemessenes Einkommen zu erwirtschaften.“ Seine Erkenntnis: Durch harte Arbeit allein lässt sich ein kleiner Hof wie der Seilerhof heute kaum noch wirtschaftlich und fair für Mensch und Tier betreiben.

Schwankende Milchpreise und ein kompliziertes System gesetzlicher Vorgaben und Subventionen schränken den Handlungsspielraum vieler Landwirte so stark ein, dass sie nur noch die Möglichkeit sehen, auf Selbstausbeutung zu setzen, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Das heißt im Alltag: noch längere Arbeitstage, noch mehr Aufgaben selbst übernehmen und so gut wie keine Freizeit.

„Vielfalt zeigt sich in unserem vielfältigen Geschäftsmodell, den vielfältigen Stärken der Mitarbeitenden und der Auswahl unserer regionalen Produkte. Und vor allem daran, dass wir die Zusammenarbeit für alle fair gestalten.“

Michael Tacken

Michael Tackens Lebensgefährtin Kristin Becker beobachtet dieses Verhalten bei vielen Landwirten. „In der Landwirtschaft ist eben alles sehr emotional und familienorientiert. Da versucht man oft, alles durch persönlichen Einsatz zu lösen.“ Unternehmerisches Denken bleibe dabei oft auf der Strecke. Ebenso wie die Energie und Lebensfreude in den landwirtschaftlichen Familien. „Das wollten wir für uns nicht. Für uns war klar: Wir wollen anders arbeiten.“

Die beiden begaben sich daher „auf eine Reise“: Sie holten sich Rat von Unternehmern und Beratern aus anderen Branchen, entwickelten Ideen für Marketing, Vertrieb und Unternehmensführung. Schritt für Schritt setzten sie ein vielfältiges Geschäftsmodell zusammen, mit dem sie den Hof möglichst unabhängig von den schwierigen Marktbedingungen machten. Dazu modernisierte Familie Tacken zunächst die Ställe und brachte sie auf den technisch neuesten Stand. „Wir haben alle Prozesse so aufgestellt, dass die Tiergesundheit optimiert wird und die Angestellten effizienter arbeiten können“, erklärt Michael Tacken.

„Es gibt immer mehr als eine richtige Art und Weise, etwas zu tun. Deshalb ist es wertvoll, über den eigenen Tellerrand zu schauen und neue Perspektiven zuzulassen.“

Kristin Becker

Außerdem setzt die Familie nun auf Direktvermarktung. Kunden können an Verkaufsautomaten auf dem Hof frische Rohmilch und Milchmixgetränke kaufen, außerdem Eier vom „Hühnermobil“ des Hofs, Softeis und weitere regionale Produkte wie Grillfleisch, Honig, Käse und Kaffeespezialitäten. Die Marke „Seilerhof“ und die Verkaufsautomaten haben Becker und Tacken in der Region durch Marketing vor allem in den sozialen Medien gezielt bekannt gemacht. „Heute ist ein Stopp an unseren Automaten zum Einkaufen für viele Kunden ganz alltäglich“, sagt Tacken. Auch die Dorfjugend kommt gerne mit dem Moped vorbei und trifft sich auf dem Seilerhof auf ein Softeis. „Inzwischen sind wir wohl sogar so etwas wie ein Treffpunkt für erste Dates geworden“, berichtet er mit einem Schmunzeln.

Die Aufgaben auf dem Seilerhof sind klar verteilt: Michael Tacken hat im Jahr 2017 die Gesch.ftsführung übernommen, kümmert sich um alles Betriebswirtschaftliche. Kristin Becker verantwortet das Marketing, entwickelt mit ihrem Partner gemeinsam neue Geschäftsideen und führt ihr eigenes Unternehmen „Social Media Agrar“, welches sich auf Social-Media-Beratung sowie Bild- und Videoproduktion für die Landwirtschaft spezialisiert.

Michael Tackens Bruder Alexander betreibt ein eigenständiges landwirtschaftliches Lohnunternehmen, das alle Arbeiten auf den Feldern übernimmt. Vater Jürgen und Mutter Reinhild unterstützen tatkräftig auf dem Hof. Sie wurden bereits von Arbeiten im Büro und des Melkens durch Mitarbeiter entlastet. Michael Tacken ist es wichtig, dass sie Zeit für Hobbys haben und eine erfüllte Rente genießen können. Seine Eltern waren zunächst skeptisch, was seine Pläne anging. „Aber mit den ersten Veränderungen und neuen Prozessen, die wir eingeführt haben, haben auch meine Eltern gemerkt: Wir gewinnen alle neue Freiheiten und Perspektiven“, so Michael Tacken. Jeden Mittwochabend geht Senior-Chef Jürgen jetzt zum Beispiel zum Boxen. Und Senior-Chefin Reinhild engagiert sich aktiv bei den Landfrauen. „Das wäre früher undenkbar gewesen, so viel Zeit und Energie für ein Hobby wären gar nicht da gewesen neben all den Aufgaben auf dem Hof.“

Entscheidend für den erfolgreichen Umbau des Geschäftsmodells: „Wir waren bereit, über unsere kleine Welt hinauszuschauen, welche innovativen Lösungen es geben könnte – und haben neue, vielfältige Perspektiven zugelassen“, sagt Tacken. Das Leben auf dem Seilerhof ist dadurch für alle Beteiligten bunter, freier und vielfältiger geworden. „Und genau das war und ist auch unser Ziel: Wir wollen zeigen, dass eine moderne, neue Landwirtschaft möglich ist, auch für kleinere Betriebe. Mit regionaler Verbundenheit, mit Fairness für die Menschen, die hier arbeiten und einkaufen, und natürlich mit guten Bedingungen für die Tiere.“

An Ideen, wie es auf dem Seilerhof weitergehen kann, fehlt es Tacken und Becker nicht. „Wir haben noch viel vor.“ Einmal im Jahr sitzen die Tackens daher auch mit ihrem Berater Sebastian Dreier aus dem Kompetenzfeld Landwirtschaft der VerbundVolksbank OWL zusammen, besprechen ihre Pläne und Strategien. Zudem schauen sie mit dem Finanzierungsprofi gemeinsam auf die Ratings und Agrarberichte des Hofs, um zu prüfen, ob sich mit dem neuen Geschäftsmodell auch wirtschaftlich alles in die richtige Richtung entwickelt und wie sich die Zukunftspläne sinnvoll und nachhaltig finanzieren lassen. „Wenn wir neue Ideen haben, geht das mit unserer Bank alles auf dem kurzen Dienstweg“, sagt Michael Tacken. „Das wissen wir sehr zu schätzen.“